Och em Himmel ess d’r Düvel loss – Fastelovend feere se do

Karnevalslied und Religionen sind bei den Katholiken keine unverträglichen Geschwister

Jetzt kann man es in Köln und im restlichen Rheinland wieder hören, wenn sie schwankend auf den Stühlen stehen und – mit Tränen in den Augen – trunken vor betörender Heimatliebe singen: „Denn wenn et Trömmelche jeiht, dann stonn mer all parat un mer trecke durch die Stadt.“ Die fünfte Jahreszeit ist seit Dreikönige angebrochen. Wir befinden uns in der mehr oder minder langen und äußerst anstrengenden Phase des Sitzungskarnevals und singen uns warm für den Straßenkarneval an den tollen Tagen. Aber, vielfach von vielen überhört, klingt auch die Religion, hier wohl nur „die wahre Religion“ wie der Kabarettist Konrad Beikircher richtig zu bemerken pflegt, durch: „Jo, wenn die Jecke widder durch die Stroße trecke, klingen die jecke Tön bes en d’r Himmel ren. Dann säht d’r Petrus aan d’r Himmelspooz: Chef, hürens, ich gläuv die fieren Fastelovend am Rhing.“ Das wäre in der Tat ein Ding, wenn es im Rheinland Brauchtum ganz ohne den lieben „Jott“ gäbe. Das wäre doch noch schöner, wenn der Himmel vom Karneval in Köln keine Kenntnis nähme! Denn das bezweifelt im Rheinland keiner: Auch im Himmel wird gefeiert: Man singt: „Un d’r Herrgott hät sing Freud“, denn „Em Himmel ess d’r Düvel loss, wesst ehr, wat dat bedrück? Do feeren se hück Fastelovend.“

Wer solche Zeilen für frivol hält, ist bloß nicht richtig informiert. Schon auf Erden betete der jetzt heilige Schatzkanzler Sir Thomas More: „Herr, schenke mir Sinn für Humor, gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.“ Dies konnte er damals beten, als er seinen Kopf noch zwischen den Schultern trug. Aber als ihm der Kopf abgeschlagen wurde, entstand damit die Voraussetzung, zu einem heiligen Martyrer zu werden – und zu einem Botschafter des Humors im Himmel. Die Kölner Nonnen, die um 1500 sangen: „It is vur eynen vastavend, kinder nu gait an“ kamen in der nächsten Zeile sofort ernüchternd zur Sache: „Laist uns Gode dyenen, om uns sunden weynen.“ Dieses „Karnevalslied“ verdeutlicht: Ein bisschen Spaß darf sein – aber bitte ohne Sünde!

Überhaupt. Die „kölsche Tön“ unserer Tage haben keine lange Vorgeschichte. Zwar glauben Rheinländer ernsthaft, Gegröle und Lärm seien wie die Musik und der Gesang den rheinischen Kindern nahezu „eingeboren“ – als Mittel gegen böse Mächte, zur Freude von Gott und Geistlichkeit, gegen Einsamkeit und als Transmissionsriemen für fröhliche Geselligkeit. Aber die Fastnachtslieder früher Zeiten waren keineswegs so närrisch, dass sie uns heute noch ansprächen. Zur Franzosenzeit etwa waren sie bloß ein bisschen versteckt aufmüpfig, wenn man sich im Karnevalslied über die Besatzer lustig machte. Die romantische Reform-Fastnacht 1823 unter preußischer Aufsicht brachte auch bloß steifschwülstige Töne hervor von der fragwürdigen Qualität eines „Dem neuen Regimente schließt heut euch jubelnd an.“ Selbst die karnevalistische Mega-Schmonzette „Der treue Husar“ von 1831 hat mit dem rheinischen Leben eines Christenmenschen nichts zu tun: Das Lied stammt aus Österreich und – falls es lustig sein sollte – dann lediglich wegen der Behauptung, ein Husar sei treu gewesen. Erfolg hatte es nach der 1871er Reichsgründung, als alles Militärische zum Hit wurde. Bis zu Willi Ostermann florierte bloß Heimeliges nach dem tiefgeistigen Motto „Blotwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“. Ab 1907 war Ostermann der erste, der zeitgenössische Musikformen zur Gestaltung von Karnevalsliedern einsetzte, liebevoll kölsche Szenarien glossierte – bis er unter den Nazis vorsichtig die karnevalistische Ironie hinter brauner Gesinnungstreue in Deckung brachte. Karl Berbuer gelang es aber mit seinem „Heidewitzka, Herr Kapitän“, das in den 30er Jahren zu einem heimlichen Renner wurde, den zeitgenössischen „Heil Hitler“-Gruß zu karikieren. Die Nachkriegskarnevalisten nahmen dann trotzig die alte Tradition wieder auf, sangen sich als „Eingeborene von Trizonesien“ Mut an und bekämpften damit eifrig ihre Zukunftsangst. Neue Töne brachten aber erst seit den 70ern die Bläck Fööss und ihre Nachfolger. „So wie im vorigen Jahrhundert neueste Trends wie die Polka aufgesogen wurden, so wie Berbuer in den 20er Jahren den Charlston einbaute oder nach dem Krieg der Jazz stibitzt wurde, so haben wir das mit dem Pop versucht,“ so Hartmut Prieß von den Bläck Fööss. Und dann „jing et loss.“

Forderungen christlicher Ethik finden sich in vielen Karnevalsliedern verwirklicht. Der Mainzerischen „Heile, heile Gänschen“-Philosophie, die – so scheint es – nicht aus den Kinderschuhen heraus gekommen ist, setzen die Kölner entgegen, wie Erwachsene einander anzunehmen haben: „Un dann han sen en d’r Ärm jenomme und alles wor wider jot.“ Und – man glaubt es nicht – feinfühlig sind die rheinischen Narren am unteren Rhein auch noch dabei. Sie wollen nicht nur Freude verbreiten, sondern achten genau darauf, woran jemand Freude hat: „Et Schmitze Bill“, „die hät nit viel, es nit besonders rich, un hätt noch lang nit jeden Middag Fleisch o’m Desch. Nur ein Deil jit es, wo se Freud’ dran hät, dat sind de Blömcher op ihrem Fensterbrett. Mer schenke der Ahl e paar Blömcher für ihr Fensterbrett.“ Und das christliche Postulat „Was du dem Geringsten ...“ übersetzen Narren mit: „Drink doch eine met, stell dich nit esu ahn! Du steihs he de janze Zick eröm. Häs de och kei Jeld, dat es janz ejal. Drenk doch met un kümmer dich nit dröm!“ Nächstenliebe, dies beweist dieser Fall, kann eben auch Spaß machen und angenehm die Kehle runter laufen. Und bei dieser Sankt-Martins-Haltung des Teilens schließen Kölner Fremde nicht aus: „Minsche wie mir“, singen sie und meinen „Willi“ und „Ali“, „sin nit jän allein. Rütsch doch jet nöher, wie Fründe dat maache.“

Heimatverbundene Narretei bedarf Identifikationsobjekte. 1948, als Köln in Schutt und Asche lag, da klang es: „Am Dom zo Kölle, zo Kölle am Rhing, doh klinge de Glocke su prächtig und fing. Se sun uns sage, wat all mer gehatt, et gov doch op Äde kein schönere Stadt.“ Das Memento der Kölner Glocken erinnert hier an eine verloren geglaubte Vergangenheit. Als die Zeiten wieder schöner wurden, blieb der Kölner Dom als Synonym kölscher Heimatverbundenheit erhalten: „Dä Dom, dä es dat Schönste op d’r Welt!“ singt man und fügt – sich in Unbescheidenheit nur wenig zurückhaltend – an: „Dat Hätz vun d’r Welt, jo dat es Kölle.“ Und großzügig ist der Kölner halt auch, denn: „Mer losse d’r Dom en Kölle, denn do jehöhht hä hin. Wat sull dä dann woanders, dat hätt doch keine Sinn.“ Wäre es anders, hätte man in der Ferne kein Bild für die Heimatstadt in der Ferne. Zeilen wie die folgenden wären nicht mehr möglich: Ich „un ming Fründe“, „die stonn op Kölle“. „Un muss ens einer fott, Jott, wä weiß schon wohin, ja dann blieht d’r Dom janz deef em Hätze dren.“ Was leiden sie, die Kölner in der Ferne: „Wenn ich nur drei Daach lang d’r Dom nit sin, jo, dann lauf ich wie Falschjelg eröm, met nem Jeseech wie drei Daach Rän.“ Nichts, aber auch gar nichts hält einen Kölner offensichtlich fest, wenn er sich dem Heimweh ergibt: “Wann ich su an ming Heimat denke und sin d’r Dom su vör mir ston, möch ich direk op heim an schwenke, ich möch zo Foß noh Kölle gon.“ Wen wundert es, wenn rheinische Frohnaturen, überwältigt von der Schönheit ihres Domes und ihrer Stadt pars pro toto schließen: „Gott, die Welt ist wirklich schön!“

Heinrich Böll (1917–1985), zeitlebens dem Karneval in herzlicher Hassliebe in Distanz verbunden, bemerkte: „Und doch gab es eine unsichtbare Grenze, die in Gegenwart eines Kindes niemand verletzt hätte; auch im Karneval ... wird diese Grenze nie verletzt; verletzt wird sie nur da, wo man etwas so vollkommen Unkölsches wie Fasching und Karneval verwechselt; Karneval ist vulgär, mit aller Größe und allem Schrecken des Vulgären, aber nie frivol. Fasching ist eine Erfindung der Bohème, der Karneval stammt aus dem Volk, er ist klassenlos, so wie eine ansteckende Krankheit keine Klassenunterschiede kennt. Den Fasching bemerkt man nicht im Leben einer Stadt; in Köln den Karneval ignorieren zu wollen wäre zwecklos; man kann sich nur aus der Ansteckungszone entfernen.“ Die hier angesprochene Derbheit sei wenigstens durch ein Beispiel belegt: „Et Kackleed“. Hatte der schon zitierte humorige heilige Thomas Morus listig, fromm und fröhlich gebetet: „Schenke mir eine gute Verdauung, Herr, und auch etwas zu Verdauen“ lassen rheinische Christen erst gar nicht den Verdacht aufkommen, sie wollten Konventionen wahren. Sie grölen freudvoll und sinnlich: „Loss m’r ens e Leedche vum Kacke singe, kacke es e herrliche Dinge, kacke es en jroße Nut, denn wenn de nit mieh kacke kanns, dann bes de dut.“ Auch der Hinweis: „Kacke müsse och de Nonne“ macht dieses Lied nicht zum Psalm. Vielleicht gilt strafmildernd der Hinweis, dass das diesem Lied zugrundliegende Verb vom Lateinischen „cacare“ abgeleitet ist und dieses wiederum vom Griechischen „kakkan“ und – eigentlich – ein lautmalerisches Ersatzwort für derbere Worte, die wir hier nicht zitieren s/wollen, sein sollte.

Andere Lieder, in denen der Karneval die Religion bemüht, sind sehr viel schlichter. Willi Millowitsch klingt noch im Ohr, wenn es heißt: „Schnaps! Das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort!“ „Und so kam er in den Himmel, und man hat ihm Milch serviert. Gegen diese Art Behandlung hat der Lümmel protestiert!“ In der Hölle fand der Säufer auch nur Schwefel und irrt seitdem im Weltall umher wo es zwar Raketen, aber keine Kneipen gibt. So mancher Zeitgenosse fand dieses Lied so gar nicht lustig, wurde in ihm doch – angeblich – die Alkoholsucht banalisiert. Dass Karneval die Werte „verkehrt rum“ gelten und dieses Lied darum „richtig rum“ ist, haben diese unerleuchteten Kritikaster nicht verstanden. Sie würden auch dieses Lied nicht verstehen, das eben nicht der Sinneslust das Wort redet, sondern fastnachtlich auf die Endlichkeit aufmerksam macht: „Ich well keinen Daach verjevve en mingem Levve, keinen Daach ohne irjend en Freud. Ich hau op d’r Putz sulang et noch jeiht, denn et Levve duert kein Iwischkeit.“ Und überhaupt: Ein wesentlicher Grundzug der Fastnacht ist die Melancholie, das Wissen um das kommende Ende der Fastnacht und des eigenen Lebens. Die Mega-Hymne der christlichen Fastnacht lautet deshalb: „Trinke die Freude, denn heut 'ist heut', das, was erfreut, hat noch nie gereut. Fülle mit Leichtsinn dir den Pokal: Karneval, Karneval! Hast du zum Küssen Gelegenheit, Mensch, dann geh’ ’ran mit Verwegenheit. Sag’ niemals „Nein“, wenn das Glück dir winkt, bald das Finale erklingt: Am Aschermittwoch ist alles vorbei, die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei. Von all’ deinen Küssen darf ich nichts mehr wissen, wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei!“ Wie richtig und wahr. Aber wir wären nicht im Rheinland, wenn das nicht auch noch gefeiert würde. Die Personifikation der Fastnacht ist der „Nubbel“ in Köln. Am Ende der Fastnacht wird er schuldig aller Vergehen (der anderen!) gesprochen, hingerichtet und begraben. Das geht natürlich nicht ohne Gesang: „Un schleif mer dann dä Nubbel an d’r Weetschaffsdür erus, em Hetz e besje Wehmut, weil mer weiß, et es jetz Schluss, dä Pastor sprich, die Quetsch, die spellt et Äschermettwochsleed, et letzte Ründche Kölsch, dat kütt vom Weet.“

Wer sich – außerhalb des kölnischen Rheinlandes – nicht vorstellen kann, woher die hiesigen Christen den Mut zu Redenwendungen wie „Dä Erzbischoff kann saache, watt he will, mer bleeve katholisch!“ nehmen, mag in der Geschichte nachschlagen: Zwei Kölner Erzbischöfe haben vergeblich versucht, das Erzbistum vom angestammten Glauben abzubringen. Und – Liedtexte wie „Wä en Kölle es jebore, hätt e Räch si Levve lang, frei ze sin un frei ze odme, jede Minsch ne freie Mann“ haben ihren Grund im kölschen Freiheitskampf am 6. Juni 1288 in Worringen: „Dä Erzbischoff vun Westerburg, dä wollt ald lang uns Kölle han, däm jing et nur öm Maach un Jeld, nit öm uns Siel, däm Kirchemann. Hä wollt se ungerwirfe, uns Heimatstadt am Rhing, dat durf im nit jelinge, dröm moote mir noh Worringen hin.“ Die Libertinage und Chuzpe des rheinischen Frohsinns ist im ursprünglichen Wortsinn gegen die kirchliche Obrigkeit erkämpft worden.

Wahrscheinlich war die Schlacht in Worringen den Kölner Erzbischöfen eine Lehre. Heute scheint der Fastnachtsbazillius so ansteckend zu sein, dass selbst Immis, die als Bischöfe nach Köln kommen, in kürzester Zeit unheilbar infiziert werden.  Der frühere Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, hat sachverständig erklärt: „Ich denke, dass die Grundhaltung der Rheinländer eine gewisse Leichtigkeit ist – nicht zu verwechseln mit der Leichtlebigkeit – die ganzjährig ist und sich im Karneval nur konzentriert. Die Moral ist nicht außer Kraft gesetzt. Wohl aber gibt es eine andere Zeit der Vernunft: Die rationale Vernunft wird ersetzt durch eine irrationale bzw. durch einen Hintersinn. Aber auch dies ist dem Christentum insofern nicht fremd, als sich vieles Transzendente nur durch Paradoxien erklären lässt.“

Dieser treffenden Analyse lässt sich nichts mehr hinzufügen – es sei denn „Hajuja“, die christlich-rheinische Mischung von „Helau“ und „Halleluja“.