Der ganze Glaube in einer Hand

Der Rosenkranz

Wer früher zur Erstkommunion ging, erhielt automatisch neben einem Gebetbuch einen Rosenkranz als Geschenk: die Mädchen meist einen mit weißen, die Jungen einen mit dunklen Perlen. Mit diesem Geschenk war die Pflicht verbunden, an den im „Rosenkranzmonat“ Oktober in der Kirche stattfindenden Rosenkranzandachten teilzunehmen. Das waren bei Kindern keine beliebten Veranstaltungen, denn bei ihnen wurde der Rosenkranz mechanisch heruntergebetet. Die geläufige Redeweise, „leiern wie beim Rosenkranz“, hat hier ihren Ort.

Eine meiner unrühmlichen Jugendsünden ist mit dieser monotonen Gebetsform verbunden. Weil wir als Messdiener in einer Düsseldorfer Altstadtpfarrei die quälend-langweilige Andachten nicht mehr hinnehmen wollten, hatten wir uns entschlossen, etwas dagegen zu tun. Aber was? Und dann kam die Idee. Wie wäre es, dem schon angejahrten und leicht tüddeligen Pfarrer den Rosenkranz zu „entleihen“ und ein paar Perlchen zu „mopsen“? Gesagt getan, und dass der Täter nicht nur eine, zwei oder drei Perlen pro Gesätz, sondern zusätzlich ein Gesätz komplett stibitzt hatte, haben wir anderen erst gemerkt, als die frommen alten Damen genauso wie wir während der Rosenkranzandacht verzweifelt versuchten, im Gebetstakt des Pfarrers zu bleiben. Die Rosenkranzandacht flitzte nur so vorbei. Unsere Gewissen pochten längere Zeit nachhaltig. Das Bekenntnis dieser Untat in der Beichte erfolgte übrigens nicht bei dem erwähnten Pfarrer.

Natürlich war dies keine lobenswerte Tat und sie ist auch nicht zur Nachahmung empfohlen –  obgleich, es gibt nicht mehr so viele Gelegenheiten, bei denen der Rosenkranz noch eine Rolle spielt. Der Oktober war bis in die 70-er Jahre die Gelegenheit für die tägliche Rosenkranzandacht in fast jeder Pfarrgemeinde. In manchen Gegenden Deutschlands wird noch am Abend vor einer Beisetzung der Totenrosenkranz gebetet. In einigen Landgemeinden betet man Sonntags vor dem Hochamt gemeinsam den Rosenkranz. Zu sehen ist er noch an der einen oder anderen Ordenskutte. Auf den Flohmärkten und beim Antiquitätenhändler kann man Rosenkränze erwerben. Eine absolute Spitzenposition hat der Rosenkranz aber noch im Sarg: Bei den Katholiken ist er die mit Abstand häufigste Grabbeigabe.

Ist der Rosenkranz nur noch für Tote gut?

Die Karriere des Rosenkranzes lehrt anderes. Die Aneinanderreihung von Gebeten war bereits den Wüstenvätern bekannt. Zum Zählen benutzten sie Steinchen, Knoten in Schnüren oder auf einer Schnur gereihte Fruchtkerne. Schnüren zum Abzählen von Gebeten sind in allen Weltreligionen bekannt. Im Christentum hat es Gebetsschnüren („Pater-noster-Schnüren“) weit vor dem 12./13. Jahrhundert gegeben, wie der Berufsstand der „Pater-noster-Macher“ im 13. Jahrhundert in ganz Europa beweist. Noch heute gibt es über 7.000 Personen in Deutschland, die den Familiennamen Paternoster (auch: Ternoster, Nosterer, Nusterer, Baterleinmacher) tragen, über 300 nennen sich Rosenkranz. Auch nebenberuflich stellte man Rosenkränze her. In der Eifel wurden im Prümer Land die getrockneten Nüsschen der Blasenfrüchte des „Rosenkranzbaumes“ (Gemeine Pimpernuss, Staphylea pinnata) in Heimarbeit zu Perlen für Rosenkränze veredelt. Ansonsten wurden Holz- und Glasperlen, Steinkugeln, Korallen und echte Perlen sowie aus Silber gefertigte verwendet.

Der Rosenkranz, vom Spätmittelalter bis in unsere Zeit eine Gebetsform für den Einzelnen und Gruppen, hat sich aus alten Mariengebeten (capelletum Mariae, psalterium -, rosarium -, sertum -) entwickelt. Die Verbindung einer Gebetsschnüre mit 15 Vaterunser, 15 x 10 Ave-Maria und 15 Ehre sei dem Vater, womit die Betrachtung von 15 Geheimnissen („Gesätzen“) der Erlösung verbunden sind (= ganzer Rosenkranz – im Gegensatz zum Rosenkranz mit 5 Zehnern mit je 5 Geheimnissen) wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch den Kölner Dominikanerprior Jakob Sprenger zur Grundlage des Rosenkranzes gemacht. 1475 gründete er in Köln die erste Rosenkranzbruderschaft.

Das Wort „Rosenkranz“ ist vom lateinischen „rosarium“ abgeleitet. Bis in das 13. Jh. hatte dieses Wort nur profane Bedeutung. Es bezeichnete Lyriksammlungen oder einen realen Kranz aus Rosen, den man im Mittelalter gern an Festtagen als Kleidungsstück trug oder als Ehrengabe seiner verehrten Dame schenkte und dann auch den Statuen der Gottesmutter Maria. Denn als „Rose ohne Dornen“ wurde Maria geehrt. Der Kranz von Gebeten ersetzte mit der Zeit den Blumenkranz, weil nahe lag, dass die Gottesmutter an Gebeten mehr Freude hat, als an Blumen.

Gebetsschnüren kennen auch Hinduismus, Buddhismus und Islam. Der Rosenkranz der Christen hat sich von ihnen unabhängig entwickelt. Der katholische Rosenkranz besteht heute aus 59 Perlen. Der Fingerrosenkranz ist ein Ring mit einem Gesätz, das fünf Mal gebetet wird. Die orthodoxe Kirche besitzt eine Gebetsschnur (griechisch „Komboskini“, russisch „Tschotki“), in die ursprünglich 30, 33, 50, 100 oder mehr Knoten geknüpft wurden, mit deren Hilfe man meditativ betet. Die anglikanische Kirche hat in den 80-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Rosenkranz mit 33 Perlen entwickelt. Auch im Bereich der Protestantischen Kirchen hat sich der Rosenkranz wieder ausgebreitet. Die Michaelsbruderschaft kennt einen „Christus-Rosenkranz“, der das „Ave Maria“ durch ein anderes Gebet ersetzt. „Perlen des Glaubens“ heißt ein Rosenkranz mit 18 Perlen, der 1996 von einem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Schweden entwickelt wurde.

Papst Sixtus IV. (1471–1484) empfahl 1478 den Rosenkranz, dessen 15 Geheimnisse (freudenreicher, schmerzhafter und glorreicher Rosenkranz) seit 1483 bis heute im Wesentlichen gleich geblieben sind. 2002 hat Papst Johannes Paul II. die lichtreiche Geheimnisse als Ergänzung empfohlen. Es gibt auch weitere wie z.B. die trostreichen Geheimnisse. Legendarisch setzte sich die Meinung durch, der hl. Dominikus habe aus der Hand der Gottesmutter den Rosenkranz empfangen und sei Urheber der Rosenkranzbruderschaften. Vielleicht kommt diese Legende, die seit dem 16. Jahrhundert von den Dominikanern gestützt wurde, daher, dass die Dominikaner seit jeher das Rosenkranzgebet besonders betreuen.

Der Sieg über die Türken in der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 wurde wesentlich dem Rosenkranz zugeschrieben, denn zum Zeitpunkt der Schlacht beteten in Rom die Rosenkranzbruderschaften um einen Sieg. Pius V. (1566–1572) ordnete deshalb für den ersten Jahrestag des Sieges ein Marienfest an. Gregor XIII. (1572–1585) gestattete 1573 allen Kirchen mit eigenem Rosenkranzaltar ein Rosenkranzfest am 1. Sonntag im Oktober. 1716, nach dem Sieg über die Türken bei Peterwardein wurde das Fest durch Clemens XI. (1700–1721) auf die gesamte Kirche ausgedehnt. Leo XIII. (1878–1903) ordnete für den Oktober eines jeden Jahres das tägliche Rosenkranzgebet an, Pius X. (1903–1914) schließlich legte das Rosenkranzfest wieder.

Gerne wird der Rosenkranz der Marienfrömmigkeit zugeordnet. In Wirklichkeit ist er eine biblische Meditation des Lebens Jesu aus dem Blickwinkel der ersten Christin, der Gottesmutter Maria. Die Wiederholungen sind wie das gleichmäßige Fließen eines Stromes, in dessen Mitte die wechselnden Meditationsinhalte eingebettet mit gleiten. Die Perlen der Gebetsschnüre halten uns im gleichen Rhythmus, legen uns quasi an die Leine. Die meditative Gebetsform darf nicht mit einem Gebetsmarathon verwechselt werden. Nicht in der Quantität liegt die Leistung. Der Rosenkranz in der Hand ist wie der ganze Glaube in einer Hand, konzentriertes Neues Testament, eine „Blindenschrift der Bibel“ (Kardinal Meisner). Der Rosenkranz ist kein Produkt der hohen Theologie, der Kirchenväter oder Päpste, sondern eine im Volksglauben gewachsene schlichte und zugleich tief greifende Meditation, die man nur durch Einüben erlernen und schätzen lernen kann.

 

 

Der katholische Rosenkranz beginnt am Kreuz mit dem Kreuzzeichen und dem Apostolischen Glaubensbekenntnis. Nach dem „Ehre sei dem Vater …“ folgt ein „Vaterunser“. Danach werden drei „Ave Maria“ gebetet, die nacheinander den Einschub haben: „der in uns den Glauben vermehre, der in uns die Hoffnung stärke, der in uns die Liebe entzünde“. Nach dem „Ehre sei dem Vater …“ folgt ein weiteres „Vaterunser“. Dann beginnen die „Gesätze“, an deren Anfang jeweils ein „Vater unser“ steht. Den jeweils zehn „Ave Maria“ wird ein Geheimnis eingefügt. Jedes Gesätz schließt mit dem „Ehre sei dem Vater …“ Traditionell wird der Rosenkranz im Oktober gebetet, mancherorts auch im Mai. Man kann ihn auch im wöchentlichen Rhythmus beten: Am Sonntag die glorreichen, Am Montag die freudenreichen, am Dienstag die schmerzhaften, am Mittwoch die glorreichen, am Donnerstag die lichtreichen, am Freitag die schmerzhaften, am Samstag die freudenreichen Geheimnisse.