Zeit „zwischen den Jahren“

Zum Jahresende- und Jahresanfangsbrauchtum

„Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“, formulierte Goethe pathetisch nach der Kanonade von Valmy am 20. September 1792. Sein Satz ist zu einer Redewendung geworden – und ein rhetorisches Mäntelchen dazu, das vielen Ereignissen umgehangen wird, und meist mehr über den Sprecher aussagt, als über die Angesprochenen. Das anstehende „Buchhalterereignis“ am 31. Dezember nach 23.59 Uhr schafft durch die Hysterie der Zahlen- und Sternengläubigen eine Extraordinarität, die dem schlichten Ereignis fehlt. Der – rein rechnerisch mehr als willkürliche – Sprung in das nächste Jahr gebiert eine Fülle an Merkwürdigkeiten, die sich rational kaum begreifen lassen. Ob Weissagung, religiöse Prophetie, Orakel, Kartenlegen, Vogelschau, Utopie oder auch Prognose – der Blick durch das Schlüsselloch vom Jetzt zum Übermorgen ist für alle Stände in der gesamten Geschichte ein gemeinsames Laster gewesen und ist es – legt man nur die Präsenz von Horoskopen und Zukunftsprognosen in den Zeitungen zugrunde – heute noch. Je mehr man zu verlieren hat, desto interessanter ist der Zukunftsblick. Je dünner das Eis, auf dem man steht, desto erwartungsfroher die Nachfrage, für die aber fatalerweise dennoch gilt: Was das Schicksal bereit hält, lässt sich auch durch das Voraus-Wissen darum nicht abwenden.

Von alters her hat der Mensch versucht, sich ein Bild von der Zukunft zu machen – und sei es ein falsches. Die Orakel der Griechen, die Sibyllen der Römer, die Astrologen der Renaissancefürsten, die Spiritisten und die Kartenlegerin, die Philosophen und die Utopisten – sie alle verstanden sich als Dienstleister derer, die Rat und Ausblick wollten – bis sie von Futurologen, Science-Fiction-Autoren und Prognostikern mit ihren Zukunftsszenarien verdrängt wurden. Das verkaufsfördernde mythisch-mystische Ambiente der Vergangenheit ist einem Nimbus von Wissenschaftlichkeit gewichen, der alles als kalkulier- und berechenbar und damit auch steuerbar erscheinen lässt: brave new world.

Die Unwägsamkeiten des dritten Jahrtausendwechsels beginnen mit seinem Ausgangspunkt. Dionysius Exiguus, der im 6. Jahrhundert Ostertermine neu zu berechnen beauftragt wurde, stellte der Aera martyrum die Jahre nach Christi Geburt, anni domini nostri Jesu Christi, zur Seite. Dabei setzte er das 247. Jahr der Zeitrechnung nach der Ordnung Diokletians mit dem 531. Jahr nach Christi Geburt gleich. Die Geburt Christi wurde so auf den 25. Dezember des Jahres festgelegt, das dem Jahr 1 unserer Zeitrechnung vorangeht. Die Geburt Christi als Bemessungspunkt für Zeitangaben (lat. anni ab incarnatione, a nativitate domini etc.) ist bis in die Gegenwart wichtigste Jahresbezeichnung geblieben. Der Zusatz „Anno Domini“ – im Jahr des Herrn, abgekürzt: A.D. – bezeichnet die christliche Zeitrechnung. Um die Jahre vor und nach Christi Geburt deutlich benennen zu können, bürgerte sich die Angabe „vor Christi (Geburt)“ oder „vor Christus“ bzw. „nach Christi (Geburt)“ bzw. „nach Christus“ ein. Gelegentlich unternehmen einzelne Autoren oder einzelne Geschichtsphasen den Versuch der Entchristlichung dieser Angabe und notierten „vor bzw. nach der Zeitenwende“, was bislang sich auf Dauer nicht hat durchsetzen können.

Der zwischenzeitlich erkannte Irrtum der Annahme des Dionysius Exiguus besteht in der falschen Berechnung des Geburtstermins, der höchstwahrscheinlich sechs Jahre früher lag. Der Jahrtausendwechsel, will man ihn mit dem 31.12.1999 zum 1.1.2000 annehmen, wogegen – nicht unberechtigt – Einwände erhoben werden, hat schon sechs Jahren zuvor stattgefunden! Doch das störte die keineswegs, die feiern und angesichts des Termins erhaben schaudern wollten: Wer heutzutage virtuell im Internet trauert, wer auf Knopfdruck künstliche Welten im Computer erzeugt und dies mit einem gewissem Schöpferstolz, lebt längst in einer künstlichen Welt, die er für natürlich hält. Seine Wahrnehmung, seine Informationen, seine Werte und seine Ethik sind in einem Maße fremdgesteuert, wie es die wenigsten wahrhaben wollen.

Auch wenn der Jahrtausendwechsel nun Ende 1999 begangen wurde, weil niemand zuvor die sechs Jahre hinzugerechnet hat, scheint in der Euphorie vergessen, dass diese Jahreszählung, die das Millennium stattfinden lässt, nur für die Christen gilt: Ob Muslime, Juden, Hindus oder Buddhisten – sie alle zählen die Jahre anders als die Christen. Und wenn auch die durch das Christentum eingeführte Jahreszählung heute weltweit in Korrespondenz, Verwaltung und bei der Benennung von Abfahrt- und Ankunftszeiten zugrunde gelegt wird: Der Respekt vor den Jahressystemen anderer Religionen müsste uns eigentlich ein wenig bremsen, ein „weltweit“ einmaliges Ereignis zu konstatieren.

Mit der größten Selbstverständlichkeit wurde von jedermann der 31.12. als der letzte Tag des Jahres 1999, des dann verflossenen Jahrhunderts und Jahrtausends angegeben. Der 31. Dezember als Jahresende und der 1. Januar als Jahresanfang sind aber willkürliche Setzungen, „Buchhaltertermine“ ohne kulturelle oder religiöse Verwurzelungen. Dennoch gibt es diesen Termin schon seit mehr als 2.000 Jahren: 46 vor Christus hat ihn Julius Caesar bei seiner – später sogenannten – Julianischen Kalenderreform eingeführt. Caesar löste mit dieser Setzung offiziell den 1. März als Jahresbeginn ab, der bei der Revision des römischen Kalenders 153 vor Christus festgelegt worden war.

Der 1. März wurde aber auch nach der Julianischen Kalenderreform von vielen Menschen beibehalten. Bis in unsere Tage lässt sich dies noch an unseren Monatsnamen ablesen: Der September (lat. septem = sieben) und der Dezember (lat. decem = zehn) geben noch die alten Monatsfolgen an, wenn vom März als erstem Monat gezählt wird. Die Erinnerung an den 1. März als Jahresbeginn sind mit den Orakelbräuchen an diesem Tag (Orakeltag) und seiner Eignung als Verlobungstag verbunden. Wer um Mitternacht dreimal sein Bett umrundete, sollte seinen künftigen Ehepartner sehen.

In christlicher Zeit ergaben sich neue Jahresanfangtermine, obgleich als offizielle Termine immer der 31. Dezember bzw. der 1. Januar gegolten haben. Im christlichen Abendland gab es verschiedene Jahresanfänge nebeneinander und – zum Teil – auch wechselnde Termine in Kanzleien und Regionen: Der 25. März (Annuntiationsstil/Marienjahr) setzte den Neubeginn mit der Zeugung Jesu gleich; der österliche Jahresbeginn (= Osterjahr) setzte die Auferstehung Jesu an den Anfang – das Jahr begann in der Osternacht mit der Weihe der Osterkerze, in die bis heute die neue Jahreszahl eingefügt wird; die Byzantiner dagegen begannen das Jahr am 1. September; weite Teile der Christenheit wählten den 25. Dezember, die Menschwerdung Christi, zum Jahresbeginn (= Inkarnationsstil). Der Jahresbeginn mit der Geburt Christi war insofern konsequent, weil diese Geburt als Zeitenwende und auch die Jahre „a nativitate domini“ gezählt wurden. Nach der Gregorianischen Kalenderreform 1582, als der offizielle Kalender wieder dem tropischen Jahr angepasst wurde, setzte sich ganz allmählich der 31. Dezember als Jahresende und der 1. Januar als Jahresbeginn durch. 1691 hat Papst Innocenz XII. (1691–1700) diesen Jahresbeginn anerkannt.

Jenseits des bürgerlichen Jahres verläuft das Kirchenjahr, das in dem jährlichen Kreislauf der Natur, die Erinnerung an die christlichen Heilsereignisse doppelt wachhält: durch die wöchentliche Feier der Auferstehung im Rahmen der vom Judentum beibehaltenen Siebentagewoche und durch die Einbeziehung der Heilsereignisse in den Jahreslauf. Bis in das 9. Jahrhundert endete das Kirchenjahr mit dem Ablauf des Novembers und begann mit dem 1. Dezember; erst dann wurde das Kirchenjahr mit dem beweglichen 1. Advent begonnen. Das ältere Ende des Kirchenjahres im November ist der Grund für den Erhalt des Orakelbrauchtums am letzten Novembertag, dem Fest des hl. Andreas. Andere „Orakeltage“ sind Weihnachten, Silvester, Neujahr und Dreikönige.

Weil der Andreastag vor Jahrhunderten einmal das Jahr beendete, ist er bis heute Ort für Jahresend- und Jahresanfangsbräuche, mehr als tausend Jahre später! An ihm finden abergläubisch-scherzhafte Heirats- und Liebesorakel statt. Die Andreasnacht war Losnacht (Losen = Wahrsage, Vorhersage). Weit verbreitet war das Apfelorakel: Ein Mädchen schälte einen Apfel so, dass die Schale ein unzerschnittenes langes Band bildete. Dieses warf sie hinter sich. Ließ sich aus dem Apfelschalenband ein Buchstabe erkennen, so war es der erste Buchstabe im Namen des Zukünftigen. In Sachsen pflegte man das Tremmelziehen: Um Mitternacht musste ein Mädchen schweigend ein Holzscheit aus dem aufgestapelten Holz ziehen. Ein gerades und glattes Scheit kündigte einen jungen, starken Ehemann an, ein Aststück einen alten, krummen. Im Harz genossen die Mädchen zwei Becher Wein als Schlaftrunk und glaubten im Traum ihrem Liebsten zu begegnen. In Thüringen deckten sie ihm den Tisch und öffneten das Fenster in der Hoffnung, dass er sich zeige. In Böhmen wurde das Lichtelschwimmen praktiziert. Doppelt so viele Walnussschalen als versammelte Mädchen wurden, mit einer kleinen Kerze versehen, in einen großen Wasserbottich gesetzt. Jedes Mädchen hatte so sein eigenes Licht und ein weiteres, dem es im Stillen den Namen des erwünschten Zukünftigen gab. Die Nussschalen, die sich trafen, symbolisierten nach dem Orakel ein zukünftiges Brautpaar. Andernorts stiegen die Mädchen rückwärts mit dem linken Fuß zuerst ins Bett und sagten dabei:

Heiliger Andreas, ich bitt',
Daß ich mei Bettstatt betritt,
Daß mir erscheint
Der Herzallerliebste mein,
Wie er geht
Und wie er steht
Und wie er mi zum Traualtar führt.


In Hessen ließen sich die Mädchen von einer unbescholtenen Witwe schweigend und ohne Dank einen Apfel schenken, aßen die erste Hälfte vor und die zweite nach Mitternacht und glaubten so, vom Liebsten zu träumen. Anderswo legte man die zweite Apfelhälfte unter das Kopfkissen. Wieder in anderen Gegenden schlichen die Mädchen heimlich in den Hühnerstall. Gackerte ein Huhn, sollten sie ledig bleiben, krähte der Hahn, so stand die Hochzeit bald vor der Tür. Andere Mädchen umspannten mit den Armen den Gartenzaun; die Anzahl der erfassten Latten gab die noch zu wartenden Jahre wieder. Auch noch andere Gelegenheiten (z. B. Holzspäne auszählen, um Mitternacht in den Brunnen schauen, mit neuem Besen das Zimmer ausfegen, am Andreasmorgen eine Knospe finden, eine Kerze abbrennen lassen, am Nachbarhaus horchen ...) dienten dem Auszählen der Wartezeit oder dem Erkennen des Zukünftigen. Bei einem anderen Hochzeitsorakel wurde z. B. das ABC mit Kreide an die Tür geschrieben. Ein junger Mann oder ein Mädchen wiesen mit verbundenen Augen zweimal auf die Buchstabenfolge. Mit dem einen Buchstaben begann der Vorname, mit dem anderen der Nachname der oder des Zukünftigen. Oder ein Mädchen band einen Fingerring an ein langes Haar und ließ den Ring in ein leeres Glas hinein. So oft der Ring gegen das Glas schlug addierten sich die Jahre, die das Mädchen noch auf seine Hochzeit zu warten hatte. Bei einem weiteren Orakel musste das Mädchen im Dunkeln hinter das Haus laufen und Holzscheite in das Haus holen. Ergaben die Scheite eine gerade = „paarige“ Zahl, durfte das Mädchen auf eine Hochzeit im kommenden Jahr hoffen, sonst musste es sich vertrösten lassen.

Der Andreastag war mancherorts Schlachttermin. In den Vereinigten Staaten begeht man noch heute diesen Tag in diesem Sinne. Es gibt Rindergulasch oder Brunswick Stew. Als ursprüngliche Nacht des Jahreswechsel hatte die Andreasnacht früher ähnliche Bedeutung wie heute der Silvesterabend. Deshalb fand das heute noch übliche Bleigießen auch zu diesem Zeitpunkt statt. In Oberfranken gehört der Abend den Paretla: mit alten Lumpen verkleidete Kinder, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, ein Bart aus Flachs, Kapuze, Sack und Reisigbesen. Wenn sie vor ein Haus kommen, singen sie:

Heint ist die Paretnocht.
Hot mei Vater an Gasbock gschlocht,
Hot na neina Ufn gschiert,
Is er widder rausmarschiert.

Äpfel, Plätzchen oder auch Geld sind der Lohn dieses Heischebrauches.

In Süddeutschland und in Österreich beginnen in der Andreasnacht die Klöpflesnächte, in der die Klöpfelgeher mit Hammer und Besen gegen die bösen Mächte hinausziehen, die im Dunkeln alle Häuser umgeistern. Mit Glocken und Knarren wird gelärmt, Wände und Türen abgeklopft, damit alles Böse entfleucht. Natürlich erhalten die Glücksbringer freundliche Gaben. In ganz alten Zeiten besuchte an diesem Abend der Belzemärtel oder Pelzmärte (eine Denomination des hl. Martin) die Kinder, belohnte oder bestrafte sie. Auch in Frankreich hat sich dieser Brauch inzwischen auf Nikolaus verlagert. Die Kinder im Riesengebirge hängen aber noch am Andreasabend ihre Strümpfe vor das Fenster. Am Morgen sind die „Andreasstrümpfe“ mit Äpfeln, Nüssen und dem Andreaskranz, einem Hefegebäck mit Rosinen, gefüllt. Schenk- und Kaufbräuche haben sich jedoch auch in anderen Gegenden erhalten. In Schweinfurt verschenkte man Andreasbrote an die Armen und auch in Schottland backen die Bäcker am Tag ihres Nationalheiligen Andrew ein Andreasbrot; in der Schweiz und anderswo finden Andreasmärkte statt. In Böhmen gehörte alles Garn, das die Mägde am Andreastag gesponnen hatten, den Mädchen (= Andreasgarn). Die Bäuerin schenkte den Mägden zusätzlich Flachs und Geld, damit sie die Freundinnen und Freunde bewirten konnten, die sie am Abend des Andreastages in der Spinnstube besuchten.

Das Schneiden von Zweigen an Andreas (Andreasreiser, den Barbarazweigen vergleichbar) war im 15./16. Jahrhundert statt an Barbara üblich. Auch damit verbunden waren Orakelbräuche: Frauen, die im Mittelalter am Andreastag einen Weichselzweig schnitten und ihn ins Wasser stellten, konnten mit dessen Hilfe in der Christnacht angeblich erkennen, wer eine Hexe war. Diese trug dann nämlich ein hölzernes Gefäß auf dem Kopf. Am Andreastag geschnittene Zweige mussten nach besonderen Regeln geschnitten und zusammengestellt werden. Grüne Lebensruten bringen besonders Glück, wenn man sie am Andreasabend um sechs, neun oder zwölf Uhr schneidet. Am besten ist es, wenn die Andreasreiser von sieben oder neun verschiedenen Bäumen oder Sträuchern stammen: Apfel, Birne, Kirsche, Pflaume, Rosskastanie, Holunder, Himbeere, Johannisbeere, Stachelbeere. Die Zweige müssen schweigend und ungesehen geschnitten werden. Drei Zweige werden mit je einem farbigen Band gekennzeichnet. Jede Farbe bezeichnet einen Wunsch. Blüht der betreffende Zweig zu Weihnachten, geht der Wunsch in Erfüllung. An der Art des Wetters an Andreas schloss man auf das Wetter zu Weihnachten: Wenn es an Andreas schneit, der Schnee hundert Tage liegen bleibt.

Der Abhängigkeit agronomischer Gesellschaften wegen bezogen sich viele Orakel auf das Wetter, das sie vorauszusagen suchten. Am Dreikönigstag z. B. schreibt ein Wetterorakel vor: Am Vorabend des Dreikönigstages legt man von zwölf Weizenkörnern je eines an bestimmten Ort vor den Ofen. Jede Stunde galt für einen Monat des Jahres. Am Morgen des Dreikönigstages konnte man ablesen, was die Monate bringen werden. Die am weitesten fortgesprungenen Körner weisen auf Glück, Gesundheit und reiche Ernte hin. Die gleiche „Wettervorhersage“ erhoffte man sich vom Zwiebelorakel oder vom Vierjahreszeitenorakel. Bekannt ist auch die Tellersaat. Im Burgenland ist die Tellersaat (findet sie zu Barbara statt, heißt sie „Barbara-Weizen“, an Lucia, dann „Lucia-Weizen“ oder „Luzien-Weizen“) als „winterliches Grün“ bekannt, andernorts heißt man es Ado-nisgärtlein. Man streut Weizen- oder Gerstenkörner auf einen flachen Teller, begießt sie mit Wasser und stellt das Ganze an einem geschützten Ort warm. Ist zu Weihnachten die Saat aufgegangen und bildet sie einen dichten grünen Busch, sieht man in ihm einen Hinweis auf das „Licht der Welt“, eben Christus, und stellt eine Kerze auf diesen Teller. Ein anderes Orakel vollzogen Mädchen. Sie trennten am Gedenktag der hl. Lucia (13. Dez.) ein Stück Weidenrinde ab, ritzten ein Kreuzzeichen in den Stamm und banden die Rinde wieder fest. Wenn sie am 1. Januar die Stelle wieder enthüllten, suchten sie aus den veränderten Zeichen die Zukunft zu deuten. Besonders Mutige wagten sich in der Luziennacht nach draußen, um den Luzienschein zu sehen, der die Zukunft deuten sollte. Wie Barbarazweige schneidet man am 13. Dezember Kirsch-zweige als Luzienzweige. Der Festtag der Lucia war im Mittelalter zeitweise und in verschiedenen Gebieten Kinderbeschenktag für Mädchen. Das Thomasorakel (21.12.) ist gleichfalls eine Tellersaat: Gerstenkörner werden in einem Topf mit Erde in einen geheizten Raum gestellt. Nach Weihnachten kann man ablesen, ob das Wetter des nächsten Jahres Feuchtigkeit, Trockenheit, schwaches oder starkes Wachstum bringt – der jeweilige Tag, an dem sich ein Hinweis ergibt, entspricht dem so bezifferten Monat.

Weil in der vorindustriellen Agrargesellschaft das Naturjahr die Lebensabläufe bestimmte fiel der offizielle Jahreswechsel deshalb in die Licht- und Spinnstubenzeit. Ihre Eröffnung am Martinstag gründete nicht nur in den langen Abenden der dunklen Jahreszeit, die – weil sie keine Feldarbeit mehr zuließen – in anderer Form wirtschaftlich genutzt wurden. Man ging zwar „z’ Licht“, um nur eine Licht- und Wärmequelle für viele zu nutzen, aber wohl auch, weil die Spinnstube – Lichtstube, Kunkelstube, Lichtkarz, Nachtkarz zugleich ein Ort war, wo sich beim lockeren Miteinander trotz sozialer Kontrolle diskret Partnerschaften anbahnen, eben kunkeln, ließ. Nach der Arbeit boten Spiel, Gesang und Tanz genügend Anlässe zum Kennenlernen, das sich durch ein Heimgeleit im Dunkeln vertiefen ließ. Der Volksmund formulierte nicht ohne Grund: Im Dunkeln lässt sich gut munkeln. In Schwaben wusste man: Weit heim – lang schee! Traditionstermine, an denn in der Spinnstube gefeiert wurde, waren die Andreasnacht am 30. November und die Thomasnacht am 21. Dezember, die als längste Nacht des Jahres gleichfalls Wendecharakter hatte. Der leicht zu erahnende Inhalt der Nächte ergibt sich auch durch ihre Bezeichnung als „Durchsitz-“ oder „Durchspinn-Nacht“, der Getränkekonsum durch die im Schwarzwald verbreitete Bezeichnung des Morgens danach: Kotzmorgen! Martini als Beginn der Spinnstubenzeit korrespondiert mit Lichtmess. Redewendungen lauten entsprechend: „Sankt Martin macht Feuer ins Kamin; dann, o Mädel, greif zum Rädl“ oder : „Lichtmeß, ‘s Spinne’ vergeß“. Etwas deftiger formulierte man am Niederrhein: “Um Martin schlachtet der Bauer sein Schwein, das muss bis zu Lichtmess gefressen sein. Lichtmess endete nicht nur die zu Michaeli begonnene Kunstlichtzeit, die Zeit, in der man bei Kunstlicht arbeitete, auch die Spinnstubenzeit war zu Ende.

Nicht nur die zeitliche Nähe vom 25. Dezember und 1. Januar oder gar Sparsamkeit haben dazu geführt, dass wir unsere Weihnachtsgrüße mit Neujahrswünschen verbinden. Das Wissen darum, dass Weihnachten und Neujahr eigentlich ein Termin waren, scheint “unterbewusst“ noch vorhanden zu sein. Die fehlende tiefe Verwurzelung des 31. Dezember und des 1. Januar zeigt sich im Brauchtum: Glücksymbole, Orakelbräuche, Lärmbrauchtum und – jenseits des eigentlichen Brauchtums – Alkohol kennzeichnen ein Fest, bei dem viele Menschen verdrängen, was es symbolisiert: Auch meine Zeit hat ein Ende, hinter dem etwas Neues und Unbekanntes beginnt.

Das eigentliche Jahresende fand in einem noch enger gezogenen Zeitbereich statt: der Zeit „zwischen den Jahren“. Dieser Begriff bezeichnet den Zeitraum vom 25. Dezember bis zum 6. Januar, die Rauhnächte bzw. die kirchliche Weihnachtszeit. (Übrigens kennt auch das Judentum eine solche Phase „zwischen den Jahren“: Hier gelten die zehn Tage zwischen dem jüdischen Neujahr (Rosch Ha-Schana) und dem Versöhnungstag (Jom Kippur) als besonders wichtig) Die Begriffsbildung nimmt Bezug darauf, dass sowohl am 25. Dezember, am 1. Januar als auch am 6. Januar Jahresbeginn gefeiert wurde, je nach Gegend oder Zeitalter. Erst seit dem 17. Jahrhundert kristallisiert sich der 1. Januar als offizieller Jahresbeginn mit allgemeiner Verbindlichkeit heraus. Die „Zeit dazwischen“, die Zeit zwischen den verschiedenen Jahresanfängen, war die Zeit „zwischen den Jahren“.

Am 26. Dezember, dem zweiten Weihnachtstag, gedenkt die Kirche ihres ersten Märtyrers Stephanus. Unter den sieben Diakonen der Jerusalemer Gemeinde (vgl. Apg 6, 5) spielte Stephanus eine besondere Rolle. Als kraftvoll und begnadet geschildert, trat er in der Auseinandersetzung mit den Vertretern des hellenistischen Judentums hervor. Schließlich wurde Stephanus durch den Hohen Rat zum Tod durch Steinigung verurteilt (Apg 6, 8–10; 7, 54–60). Am Gedenktag fanden früher Weiß- und Rotweinweihen statt. Da dieser Anlass in Gemeinschaft mehr Freude bereitet, traf man sich zu Essen und Wein. Stephanus (Steffl) gilt als Pferdeheiliger, der Stephanstag als Pferdetag, den man auch noch heute durch Haferweihe, Wasserweihe (Stephaniwasser), Umritte und Pferdesegnungen feiert. In früherer Zeit galt der 26. Dezember als Menschertag – wie Oster- und Pfingstmontag. Wer zu Weihnachten von seinem Mädchen „das Kletzenbrot abgeholt“ hatte, d.h. zum Zeichen der Annahme der Werbung dieses Gebäck erhalten hatte, durfte an diesem Tag zum ersten Male seine Liebste ausführen. Übrigens sind die „Pflastersteine“ ein Weihnachtsgebäck, das die Steine symbolisieren soll, mit denen Stephanus getötet wurde. Am zweiten Weihnachtstag nahm man früher Krüge mit Wasser mit in die Kirche, wo sie der Pfarrer während der Messe weihte. Das Stephaniwasser oder Stephanswasser war ein beliebtes Weihwasser, das als besonders wirkungsvoll gegen Teufel und Hexen galt. Die Pferde erhielten beim ersten Frühlingsausritt mit Stephaniwasser getränktes Brot, damit sie gesund blieben und nicht verunglückten.

Der Gedenktag des Apostels und Evangelisten Johannes ist der 27. Dezember. Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, dem Jesus sterbend seine Mutter anvertraute, wird in der Kunst meist als sensibel zurückhaltender Jüngling gezeigt. Dies scheint er aber kaum gewesen zu sein, da Jesus ihn und seinen Bruder, Jakobus den Älteren, als „Donnersöhne“ bezeichnet (Mk 3, 17). Johannes stammte aus Betsaida, wo sein Vater Zebedäus als Fischer arbeitete. Da die Legende von Johannes berichtet, er habe folgenlos einen Giftkelch geleert, weiht man an seinem Gedächtnistag Wein in der Kirche, bringt ihn nach Hause und bewahrt ihn auf. Der Johannisminne oder dem Johannissegen wurde ganz besondere Wirkung zugesprochen. Die Segnung des Johannesweins ist im Winzerörtchen Rhöndorf noch üblich. Mancherorts wechselten an diesem Tag auch Mägde und Knechte ihre Stellung. Sie verabschiedeten sich bei einem Tanzabend. Am Johannistag „dingt“ der Ehemann seine Ehefrau für das kommende Jahr an, d. h. er führte sie in das Gasthaus und lud sie dort zum Essen ein. Bei diesem Brauch, Weiberdingete genannt, zahlte die Frau den Wein, womit sie zustimmte und sich für das nächste Jahr verpflichtete.

Nach Mt 2, 8–18 befahl Herodes, als sich die Magier von ihm nicht zur Denunzierung des neugeborenen Messias benutzen ließen, in Bethlehem und Umgebung alle Knaben im Alter bis zu zwei Jahren zu ermorden. Als „Fest der Unschuldigen Kinder“ feiert die Kirche diesen Bethlehemitischen Kindermord. Anhand profaner historischer Quellen lässt sich dieser Vorgang nicht beweisen, weshalb er in der Forschung von einigen angezweifelt wird. Andere verweisen darauf, dass dieser Bericht durchaus zur Verhaltensweise des Herodes passt. Matthäus sieht in diesem Vorgang die Erfüllung des Prophetenwortes von Jer 31, 15. Auf-fällig sind die Parallelen zur Kindheitsgeschichte des Moses, der ebenfalls als Befreier seines Volkes – wenn auch nur aus der ägyptischen Knechtschaft und nicht von Sünde und Tod – auftritt. Seit dem 5. Jahrhundert gibt es einen Gedenktag für die Betlehemitischen Kinder, die nicht nur ohne Schuld und als Märtyrer, sondern sogar stellvertretend für Christus gestorben sind. In Zeiten hoher Säuglings- und Kindersterblichkeit gewann dieser Gedenktag besondere Bedeutung. Die Unschuldigen Kinder sind Patrone der Chorknaben und Findelkinder. Sie werden angerufen gegen Ehrgeiz und Eifersucht. Als Tag, an dem man sich Fruchtbarkeit wünschte und durch Rutenschläge segnend vermittelte, was „frisch und gesund schlagen“ hieß, wodurch der Tag auch den Namen Pfefferlestag (von „pfeffern“ = schlagen) erhielt, gewann dieser Gedenktag Bedeutung. Wahrscheinlich in Erinnerung an die im Gedenkanlass sichtbare Brutalität bei Auseinandersetzungen wurde dieser Tag auch als Versöhnungstag im Rheinland gefeiert. Am Sonntag, nach dem Kirchgang, fand im Rathaus eine Feier zur Beendigung von Streitigkeiten und Feindschaften statt.

In Erinnerung an die Flucht der heili-gen Familie nach Ägypten und der Leistung, die dabei der Esel vollbracht hat, steckte man Eseln, denen man am 28. Dezember begegnete, eine Leckerei ins Maul. In der nur den Kindern eigenen Unbekümmertheit haben diese im Mittelalter diesen Tag für sich reklamiert und vereinnahmt. In Kloster- und Domschulen führten die Schüler das Regiment und durften in Reimform ihre Meinung sagen. Sie spielten „verkehrte Welt“, in der die Großen klein und die Kleinen groß sind. An diesem Tag fand das Kinderbischofsspiel (ludus episcopi puerorum) statt, das – um 1300 mit dem Aufkommen der Nikolaus-Verehrung – ebenso auf den Nikolaustag abwanderte wie die Sitte des Kinderbeschenkens (Kinderbeschenktag). In Bayern schenkten die Paten ihren Patenkindern an diesem Tag Gebäck: den Mädchen eine Lebkuchenfrau, den Jungen einen Lebkuchenreiter. Bereits in vorchristlicher Zeit hatte dieser Tag für die Kinder eine besondere Bedeutung. Frau Holle zog in dieser Nacht mit allen Kindern, die im Jahr geboren werden sollten, umher. Das Element des Schenkens war in dieser Vorstellung bereits enthalten: Dem Geisterzug wurde Essen hingestellt.

Silvester ist heute der eigentliche Tag des Jahresendbrauchtums. Dieser Tag gedenkt des bekanntesten Papstes, der seine Popularität aber nicht selbst verdient, sondern dadurch geschenkt bekommen hat, dass er am 31. Dezember 335 verstarb und dieser Tag seit dem 17. Jahrhundert als letzter Jahrestag gefeiert wird. Silvester war von 314 bis 335 Papst. In seine Zeit fällt die epochale Veränderung im Verhältnis von römischem Staat und christlicher Kirche unter Kaiser Konstantin I. (306–337), der dem Papst gegenüber dominierte. Zur Zeit des Papstes Silvester fand das Konzil von Nicäa (325) statt, wo – gegen Arius – die Gottheit Christi im Sinne der Wesensgleichheit mit dem Vater definiert wurde. In seine Regierungszeit fällt auch die Errichtung der drei großen römischen Basiliken: St. Johann im Lateran, St. Peter im Vatikan und St. Paul vor den Mauern.

In den Alpenländern bestand zu Silvester der Brauch, dass sich ein junger Mann als Silvester oder „altes Jahr“ verkleidete und während der abendlichen Lustbarkeiten am Ofen saß, allerdings jedesmal aufsprang und ein Mädchen küssen durfte, wenn es in seine Nähe kam. Kurz vor 24 Uhr verteilte der Hausherr an alle Gäste grüne Zweige. Mit Glockenschlag 24 Uhr vertrieben dann alle den Silvester aus dem Haus. Genannt wurde dieses symbolhafte Spiel „Silvesterschlagen“. Natürlich gab es am 31. Dezember wieder Orakelbräuche, vor allem Hochzeitsorakel (Schuhewerfen, Apfelschalenorakel ...). In der Schweiz tritt die Schnabelgeiß auf, eine teuflische und dunkle Schreckgestalt, die von einem guten hellen Dämon oder Engel durch den Ort geführt wird. Auch im neuen Jahr soll so das Böse durch das Gute im Griff bleiben.

Das Silvesteressen im Kreis der Familie und Freunde bildet sichtbar den geschlossenen magischen Kreis, der für keinen Dämon aufzubrechen ist. Gemeinsam Altes zu beenden und Neues zu beginnen wirkt gemeinschaftsstabilisierend. Traditionell ist die Erbsensuppe das Silvestergericht. So zahlreich und schmackhaft wie Erbsen sollen Geld und Wohlstand im neuen Jahr im Haus sein. Symbolischen Charakter hat auch das Fischessen zu Neujahr. Der Neujahrsfisch wurde als Symbol für Fruchtbarkeit, Fülle und Vermehrung verspeist, weil man glaubte, dass alles, was an Neujahr geschah, den Rest des Jahres bestimmte. Hier drückt das Fischessen Hoffnung auf Erfolg und Gewinn aus. Verschiedentlich wurde gemeinsam das Silvesterkönigspiel vollzogen, das dem Dreikönigsspiel vom „Bohnenkönig“ entsprach. Gutjahrsessen nannten sich zwei unterschiedliche Bräu-che: Bei dem einen richtet die Zukünftige für die Freunde und Kollegen ihres Zukünftigen ein Essen aus. Das bedeutete einerseits Training in Sachen Gastlichkeit (heute: „learning by doing“), bot andererseits aber auch die willkommene Gelegenheit, unbeobachtet und unter Seinesgleichen zu sein. In Südwestdeutschland wurde mit dem gleichen Begriff das gemeinsame festliche Silvesteressen der Familie mit allen Kindern und Kindeskindern und angeheirateten Partnern bezeichnet. Als Nachspeise gibt es dabei den Gutjahrsring, ein Hefegebäck, das – verziert mit Fruchtbarkeits- und Glückssymbolen – mit vielen Rosinen und anderen leckeren Zutaten hergestellt wurde.

Silvester galt als Bechtelitag, d.h. der Tag, an dem Knechte und Mägde den Arbeitgeber wechselten. Auf dem Hof gab es deshalb ein Abschiedsessen, das Bechtelsmahl. Der Begriff „Bechteln“ bezeichnet jene Feiern, die durch junge Frauen und Männer vorbereitet und gefeiert wurden. Auch zu Hause wurde zu Silvester/Neujahr und Dreikönige gebechtelt, denn der Hausherr spendierte für Familie und Personal ein Festessen, bei dem man – dort, wo man sich das leisten konnte – auch vom neuen Wein kredenzte. Dem festlichen Essen voraus ging in der Regel ein Silvestergottesdienst, die Jahresabschlussmesse, bei der der Pfarrer die Silvesterpredigt hielt, die ihm Gelegenheit zu einer grundsätzlichen, das letzte Jahr und die bevorstehende Ewigkeit bedenkenden Predigt gab.

Zu Silvester gehört der Silvesterscherz. So wie man am 1. April Menschen „in den April geschickt“ („Am ersten April schickt man die Narren, wohin man will“) versucht man zu Silvester den lieben Mitmensch mit „Narrenaufträgen“ hereinzulegen. Opfer dieser Neckspiele sind Neulinge, Fremde, Einfältige und neugierige Kinder, deren Unwissenheit, oft unter Verwendung eines Phantasietiernamens, ausgenutzt wird. Ein Pelztier oder ein Vogel werden als außerordentlich selten oder wertvoll dargestellt und der Betroffene mit „unfehlbaren“ Fangmethoden vertraut gemacht, die von ihm einen geduldigen Einsatz verlangen, den die Auftraggeber unter sich ausgiebig verlachen können, bis der erfolglose Auftragnehmer selbst verlacht werden kann. Derartige Phantasietiere, die es zu fangen gilt, sind: Bäwer, Elbe(n)tritsche, Rasselbock, D(r)lappen, Dieldapp, Dilldappen, Dölpes, Lämmes, Lemkes, Girike, Ellgriesli, Greiß, Kreißen, Schavakke, Trappen, Wolpertinger,. Diese „Tiernamen“ sind vielfach Begriffe, die synonym für „Tölpel“ oder „Dummkopf“ stehen (können). In Norddeutschland gibt es das „Bunsen“ oder „Bucksen jagen“. Die „Buckse“ (= Hose) wird vor eine Öffnung gehalten, durch die das wertvolle Tier schlüpfen soll. In Wirklichkeit wird eine Schaufel Mist durch die Öffnung geworfen. In Ostpreußen wird der „Rosenbock“ gejagt; dabei wird dem Halter eines Fangsackes ein Eimer Wasser über den Kopf gegossen. Statt Phantasie-Tiernamen gibt es auch andere Aufträge wie z.B. die Beschaffung von „Haumichblau“, zu dessen „Genuss“ nach der Beschaffung der Auftragnehmer eingeladen werden kann. Andere Objekte sind: das Augenmaß, die Dachschere, ein Böschungshobel, Gewichte für die Wasserwaage ...

Kurz vor 24 Uhr an Silvester steigt man auf einen Stuhl, um pünktlich mit dem ersten Glockenschlag „ins Glück zu springen“. Der „Sprung ins Glück“ oder „Neujahrssprung“ deutet symbolhaft den Ausstieg aus dem alten Jahr an und akzentuiert gleichzeitig den aktiven Beginn des neuen Jahres. Wohl kein Zusammenhang besteht zwischen dem Sprung ins Glück und dem Silvester- bzw. Neujahrswunsch „Guten Rutsch“. Es wird vermutet, dass sich dieser Wunsch von der verballhornten jüdischen Bezeichnung für Neujahr (Rosch Ha-Schana) herleitet.

Weil das neue Jahr, ist es denn da, begrüßt werden muss, entstanden Bräuche zur Begrüßung des neuen Jahres. Man versammelte sich auf dem Kirchplatz, wo das neue Jahr durch einen Posaunenchor und gemeinsame Lieder empfangen wurde. Glocken, Alarm- und Schiffsirenen, Hupen, Schreien, Böllern waren und sind beliebte Mittel der Begrüßung. Begriffe wie „Höllenspektakel“ oder „Höllenlärm“ verweisen auf den Deutungszusammenhang, in den das Christentum den Lärm einordnete. In vorchristlicher Zeit sollte Lärm die Zauberkraft der Dämonen brechen. Dieser Aberglauben hat sich lange auch in christlicher Zeit erhalten. Erst später sind die inhaltlichen Ausdeutungen christlich interpretiert, die Formen aber beibehalten worden. Gepaart mit der Abwehr böser Geister tritt die Lust an gemeinschaftlich erzeugtem Lärm auf, der vielfach in strenger rhythmischer Ordnung erfolgt (z. B. bei Lärmumzügen), aber auch seine Freude am chaotischen Durcheinander haben kann. Klopfen und Klöpfeln, Trommeln und Rummeln, Peitschenknallen (Aperschnalzen) und Schießen, Feuerwerk und Musizieren, Singen und Glockenschellen (Schellenrühren) treten in diesem Zusammenhang auf. Die Rauhnächte bilden jahreszeitlich schwerpunktmäßig einen Hauptbereich des Lärmbrauchtums, vor allem zu Silvester, das heute durch Feuerwerke eine Ergänzung gefunden hat.

Am Niederrhein wanderte ab 24 Uhr eine „Pankoke-Kapelle“ von Haus zu Haus und erspielte gute Gaben, meist frische Pfannkuchen. Im Schwarzwald zogen die jungen unverheirateten Männer nach dem Verzehr von Neujahrsbrezeln los, um das Neujahr anzusingen und sich dafür zum Essen und Trinken einladen zu lassen. Es gab Orte, wo ein Vorsänger mit einem Chor umherzog, der – nach einem frommen Auftaktlied und guten Neujahrswünschen – die Angesungen mit gereimten Texten „auf die Schüppe“ nahm, indem er sie kenntnisreich mit Ereignisse des vergangenen Jahres konfrontierte, bei denen sie nicht immer die beste Figur gemacht hatten. In anderen Gegenden war der Neujahrstag ein Heischetag der Kinder, die sich Gaben ersangen. Mitgeführt wurde dabei der Rummelpott. Neujahr war auch wieder ein Orakeltag, vor allem für Hochzeitsorakel.

Freigebigkeit zu Neujahr sollte reichen Geldsegen einbringen. Im Norden Deutschlands haben einmal in manchen Orten vor den Häusern Tische gestanden, von denen man sich bedienen konnte, ja musste, wollte man nicht die Schuld am fehlenden Glück der anderen übernehmen. Auf Helgoland hielt der Wirt in der Neujahrsnacht seine Gäste frei. Aller Anfang geht mit, sagt der heilige Augustinus. Der Glaube, dass Form und Inhalt eines Neuanfangs die ganze restliche Folge prägen, ist uralt. Nicht nur jüdischer Tradition entspricht es, alte Schulden im alten Jahr zu begleichen. Das neue Jahr hat man frisch gewaschen zu begrüßen, symbolisch wird der alte Schmutz abgewaschen. Oft gehörte dazu, dass man völlig neu eingekleidet war. Die Reinigung vom Alten bietet im neuen Jahr Schutz. Was an Neujahr geschah, hatte nach dem Glauben unserer Vorfahren Auswirkungen auf das ganze Jahr. Entsprechend heißt es im Erzgebirge: Wenn man Neujahr etwas falsch macht, geht es das ganze Jahr verkehrt. Streit ist deshalb Neujahr tabu, Ordnung in allen Bereich oberste Pflicht, ebenso Überfluss bei Essen und Trinken, damit niemand im neuen Jahr hungern muss. In Norddeutschland und Ostpreußen traten zwei junge Burschen als Neujahrsschimmel und Neujahrsbock verkleidet auf. Sie brachten Geschenke und neckten im Schutz ihrer Verkleidung die Mädchen, die sie mit (Lebens-) Ruten strichen.

Belege für schriftliche und dann auch für gedruckte Neujahrswünsche, oft mit Neujahrssprüchen verbunden, gibt es seit dem 15. Jahrhundert. Das Neujahrgewinnen stellt eine Sonderform des Überbringens von Neujahrwünschen dar. Es wird versucht, einem anderen mit dem Neujahrsglückwunsch zuvorzukommen. Wer es schafft, kann von dem anderen ein Geschenk verlangen. Dieser bis heute geübte Brauch überdeckt den ursprünglichen Sinn, bei dem gute Wünsche (= Glückwünsche) den eventuellen schlechten Wünschen (= Unglücksdrohungen) zuvorkommen sollten, um diese zu bannen. Die Hoffnung und der Glaube, dass man das Glück herbeizwingen könne, sind uralt. Glück wird beschworen durch symbolische Gaben, durch das Verschenken von Glückssymbolen oder Glücksbrin-gern: Glücksschwein, Glückspfennig, Hufeisen, Glücksklee, Schorn-steinfeger. Neujahrsbesuche waren mit dem Überbringen von Neujahrsgebäck verbunden. Heute ver-schenkt man zu Neujahr – oft weit im voraus – Kalender. Ein im Rheinland übliches Neujahrsgebäck ist das „Neujährchen“, zugleich auch Bezeichnung für die Neujahrsgabe an Dienstboten, Briefträger, Müllabfuhr usw. Natürlich kann das Neujährchen auch in Form eines Trinkgeldes ausgezahlt werden.

Das Neujahrsgebäck tritt auf als Neujahrskringel, -kranz, -zopf, -brezel, -striezel oder (im Rheinland) Neujährchen. Es ist ein Glücksgebäck. In der Regel bestand es aus Weizenmehl, zusätzlich verwendet wurden gerne Körner, die Vielfalt und Überfluss verdeutlichten: Mohn und Hirse. Auch Lebkuchengebäck gibt es zum neuen Jahr. Die Form des Gebäcks, z. B. der Kranz, symbolisiert nicht nur den ewigen Kreislauf des Jahres, sondern auch den vor Dämonen schützenden Kreis. Der Zopf stellt eine ähnliche verstandene Metapher dar. In Ostfriesland war der Neujahrskuchen als springendes Pferd geformt, in der Schweiz hieß das entsprechende Gebäck Heilswecken. Im Rheinland ist ein „Neujährchen“ meist dem vierblättrigen Kleeblatt nachgebildet oder einfach rund, oft verziert mit Symbolen der Ewigkeit. In Mecklenburg gab es ein Gebäck unter gleichem Namen, aber zu einem anderen Zweck: Es wurde segenbringend den Tieren ins Futter gebrockt. In dem in Griechenland üblichen Neujahrsbrot wird eine Gold- oder Silbermünze versteckt, die ihrem Finder Glück bringen soll. Möglicherweise ist hier ein Vorbild für den Königskuchen zu finden. In der Ukraine wurde das Neujahrsgebäck der Juden, die challa, in Vogelform gebacken. Jes 31,5 heißt es: „Wie ein mit ausgebreiteten Flügeln wird der Herr der Heere Jerusalem schützen, es beschirmen und befreien, verschonen und retten.“ Neben der Hoffnung auf den Schutz des Herrn, wie er bildhaft bei Jesaja ausgedrückt wird, drückt das Neujahrsgebäck in Vogelform auch die Hoffnung aus, dass die Gebete und Hoffnungen der Menschen zu Gott empor getragen werden mögen.

Kalender zum neuen Jahr zu schenken ist heute weit verbreitet. Seit dem 16. Jahrhundert hat sich der Kalender (lat. calendae, der erste Tag eines Monats) als Jahrestafel – zunächst nur der Gebildeten – selbständig gemacht und immer wieder neue Formen gebildet und Funktionen übernommen. Schon im 17. Jahrhundert treten Kalender repräsentativ auf, wenn sich die Domkapitel mit den Wappen der Domkapitulare darstellen und nicht nur die Jahrestage und liturgischen Angaben aufzeigen. Diese Kalender waren schon keine immerwährenden Kalender mehr, sondern wurden bereits für konkrete Jahre im voraus gedruckt. Bis zur Aufklärung entwickelte sich der Kalender zu einem oft künstlerisch gestalteten Sammelwerk, das Wetterregeln, Heiligen- und Kalendergeschichten, die sprichwörtlichen Kalendersprüche, Ratschläge für Garten und Lebensführung und liturgische Hinweise beinhalteten. In wirtschaftlich dominierten Zeiten, die die Einhaltung zeitlicher Vorgaben verlangte, setzten sich Kalender als unentbehrliche Hilfsmittel durch. Heute existieren Kalender als elektronische Kalendern in Kleinstcomputern, als Software auf dem Rechner oder als Abreiß-, Block- und Kunstkalendern aller Stilrichtungen.

Weil der Anfang eben mitgeht, soll am Anfang des neuen Jahres die Harmonie stehen. Der Neujahrstanz drückt dies aus. Es ist die Bezeichnung für den ersten Tanz im neuen Jahr, der die Harmonie und Zuneigung ausdrückt, die im ganzen Jahr erhalten bleiben soll. Was den einen der Neujahrstanz ist, ist den Niederländern (und manchem Niederrheiner) das Neujahrsschlittschuhlaufen. Zu Neujahr trifft man sich zu diesem gemächlichgeselligen Treiben trank anschließend in Freundeskreisen miteinander Kakao.

Wünsche nach Glück und Gutem, Glückwünsche eben, kann man vielfältig ausdrücken: mündlich, schriftlich, symbolisch. Gutes und gutes Glück – Glück bezeichnet ursprünglich nur „Schicksal“, „Geschick“ und deshalb musste man zwischen gutem oder bösem Glück unterschieden – konnte man hintragen und aussprechen oder in schriftlicher Form hintragen lassen. Was Glück ist, lässt sich nicht eindeutig und für immer definieren. Was als Glück empfunden wird, ist abhängig vom Empfänger und seinen Rahmenbedingungen. Wann was wem wie lange als Glück erscheint, lässt sich somit trefflich diskutieren. Einigkeit lässt sich nur darin erzielen, dass Glück kein Dauergast ist; wäre das Glück für jemanden von Dauer Gast, wäre es nicht nur unmenschlich, sondern würde als Normalzustand und damit nicht mehr als Glück empfunden. Glück ist säkularisierte Gnade, ein ungeschuldeter und ersehnter Zustand, der mir mehr bringt, als ich eigentlich verdient habe. Es ist nur natürlich, dass sich die Menschen immer nach diesem Übernatürlichen sehnen. Glücksbringer sollen dem ersehnten Glück nachhelfen. Glück wird beschworen durch symbolische Gaben, durch das Verschenken von Glücksbringern oder Glückssymbolen, die das Geld anlocken sollen wie z. B. Fischschuppen oder Glückspfennige im Portemonnaie. In Verbindung mit Neujahr gibt es zahlreiche Glücksymbole: Glücksklee, Glücksschwein, Hufeisen, Schornsteinfeger.

Als Glücksklee gilt das vierblättrige Kleeblatt. Da nach einem Sprichwort der Deuvel bekanntlich nitt op die kleenen Hauffen schitt, besteht die durch das Glücksklee ausgedrückte Hoffnung darin, dass Seltenes nicht alleine bleibt, sondern andere Seltenheiten anzieht. Wie die eine Fischschuppe (als Symbol für Geld) im Portemonnaie den „pars pro toto“-Wunsch ausdrückt, nämlich von dem einen Beispiel möglichst viel zu erhalten, versteht sich der Glückspfennig: Er soll möglichst viele seiner „Artgenossen“ anlocken. Das Glücksschwein wird oft auf den wilden Eber, das den Germanen heilige Opfertier, bezogen. Dies scheint falsch zu sein. Das unverdiente Glück, das durch das Glücksschwein ausgedrückt wird, stammt möglicherweise von einem alten Kartenspiel her: Hier wurde das As „Sau“ genannt und diese war auch auf der Karte abgebildet. Eine andere, ebenfalls nicht unwahrscheinliche Deutung bezieht sich auf den alten Brauch, bei Wettspielen und Schützenfesten neben der Auszeichnung der Besten auch dem Letzten und Schlechtesten einen ironisch verstandenen Trostpreis zukommen zu lassen. In der Regel war das ein Schwein, das er unter dem Hohn und Spott seiner lieben Mitmenschen durch das Dorf nach Hause treiben musste. Dieser Vorgang dürfte im übrigen die Vorlage für den heute nur im übertragenen Sinn verstandenen Spruch hergeben, wonach jemand die Sau durch das Dorf getrieben habe. Im Zusammenhang mit Neujahr findet sich das Glücksschwein heute meist auf Abbildungen, in vielen Fällen wird es aber auch symbolisch als Marzipanschweinchen verschenkt. Der Schornsteinfeger, der übrigens nicht nur zu Neujahr als Glücksbringer gilt, ist nur da nötig, wo der Schornstein (schon) raucht. Man sieht ihn gerne, weil sein Erscheinen auf den Wohlstand der Besuchten schließen lässt. Ein anderer Grund für die Deutung des Schornsteinfegers als Glücksbringer liegt darin, dass früher die Schornsteinfegergesellen zu Neujahr die Jahresrechnung in den Häusern einkassierten und unter Glückwünschen Gaben für sich sammelten. Sie überreichten dabei bis in die jüngste Zeit ein Kalenderblatt, das einen Glückwunsch enthielt. So waren die Schornsteinfeger die ersten Neujahrsgratulanten. Aus dem Rückschluss, dass dort, wo der Schornsteinfeger – auch nur symbolisch als Geschenkebringer – auftaucht, er auch Glück bringt, wird er zum Glücksbringer.

Der Januar, der erste Monat des Kalenderjahres, ist benannt nach Janus, dem doppelgesichtigen römischen Gott des Ein- und Ausganges (lat. ianus = Torbogen, Gang, Durchgang). Als 46 vor Christus das römische Jahr nicht mehr von März bis Februar gerechnet wurde, fügte man die Monate Januar (Januarius, Jänner) und Dezember ein. Am Janustag beschlossen die Römer die Saturnalien; man verkleidete sich u. a. mit Hirsch- und Kalbfellen, wogegen Eligius predigte, als dies in Gallien nachgeahmt wurde. An den Januskalenden wurden Geschenke verteilt: Vorläufer unserer Neujährchen. Wie auch in anderen Fällen entlehnte das Mittelalter den lateinischen Monatsnamen und verformte ihn in seiner vulgärlateinischen Form „ienuarius“ zu Jenner. Das 18. Jahrhundert entwickelte durch Rückbesinnung das Wort Januar; Jenner (Jänner) erhielt sich im alpenländlichen Raum (frz. janvier, engl. January). Andere alte Bezeichnungen: Barmonat (Schweiz), Dickkopp, Dreschmonat, Eismonat, Hartmonat, Hartung, Hornung, Jahrmonat, Lasmant, Laumant, Lauwe, Lismant, Loemant, Loimaent, Losmant, Schneemonat, Senner (Schwaben), Wintarmanoth (Wintermonat), Wolfmonat (Wölfe haben vom Ende Dezember bis Mitte Februar Ranzzeit). Der Monat gilt als „Holzbrenner“, d. h. als der kälteste Monat des Jahres. Man glaubte, das Wetter des Januar ließe auf die Fruchtbarkeit des Jahres schließen.

Im 6. Jahrhundert hatte sich in Gallien und Spanien ein „Fest der Beschneidung des Herrn“ am 1. Januar ausgebildet, das Bezug nahm auf die Angabe bei Lk 2, 21: „Als acht Tage vergangen waren und das Kind beschnitten werden sollte, erhielt das Kind den Namen Jesus, wie der Engel es genannt hatte, noch bevor es im Mutterschoß empfangen war.“ Wenn man den 25. Dezember mitzählt, ist der achte Tag der 1. Januar. Rom übernahm dieses Fest im 9. Jahrhundert und verdrängte dafür ein Marienfest. Das Fest der Beschneidung des Herrn oder lat. „In Circumcisione Domini“ wurde mit der Liturgiereform 1969 aufgegeben. Zurückgegriffen wurde für den 1. Januar wieder auf das alte römische Erbe. Der Tag nennt sich heute „Hochfest der Gottesmutter Maria und des Namens Jesu“.

In Rumänien zogen Colinda-Sänger (von dem lat. calare = ankündigen) am Neujahrsmorgen durch das Dorf. Ein Ochse oder mit Pferdemasken verkleidete junge Männer schleppten einen großen hölzernen Pflug mit (andernorts Pflugmontag, d. h. der Montag nach dem ersten Sonntag nach Epiphanie). Damit wird der Beginn der Feldarbeit im neuen Jahr angezeigt.

Am 2. Januar feiert die lateinische Kirche das Gedächtnis des heiligen Basilius; die griechische Kirche feiert ihn schon einen Tag zuvor. Basilius, um 330 in Caesarea, dem heutigen Kayseri in der Türkei, geboren und am 1. Januar 379 verstorben, war Erzbischof in seiner Heimatstadt. Er trat hervor als Bekämpfer des Arianismus und Garant des Zusammenhalts unter den Bischöfen. Er gilt als der Größte unter den sogenannten drei Kapppadokern, zu denen noch sein leiblicher Bruder Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz zählt. Basilius wird nicht nur zu den Kirchenvätern gezählt, sondern gilt auch als der Vater des östlichen Mönchlebens. In weiten Teilen des Geltungsbereichs der Ostkirche erhalten die Kinder am Festtag des hl. Basilius statt an Weihnachten Geschenke. In das griechische Neujahrbrot wird eine Gold- oder Silbermünze eingebacken, die dem Finder im neuen Jahr Glück bringen soll.

Am 6. Januar feiert die Kirche das Fest der Epiphanie. Griech. „Epiphania“ bezeichnet „Erscheinung, Offenbarwerden“ und wurde auf den römischen Kaiser angewandt: Ankunft oder Auftreten des Herrschers, Staatsbesuch. Epiphanie oder Erscheinung des Herrn heißt seit altersher das zweite Weihnachtsfest am 6. Januar. Während der 25. Dezember die Menschwerdung oder Inkarnation feiert, wird am 6. Januar die Göttlichkeit Jesu Christi vorgestellt. Aus diesem Grund scheint auch das Gedächtnis der Heiligen Dreikönige, wenigstens in Deutschland den eigentlichen Festtagssinn überdeckend, auf diesen Tag gelegt worden zu sein: Gelehrte Heiden, die als erste vor Jesus mit Geschenken niederknien, die einem König oder Messias gebühren, beleuchten die Göttlichkeit des Neugeborenen. Da die römischen Kaiser sich als Götter verehren ließen, wurde parallel zu Epiphanie die Bezeichnung Theophanie eingeführt, um die Erscheinung des Gottes hervorzuheben. Verschiedentlich wird deshalb darauf verwiesen, eher den 25. Dezember mit Epiphanie und den 6. Januar mit Theophanie zu verbinden. Die fast 2000jährige Tradition, die Epiphanie primär mit dem 6. Januar verbindet, lässt sich aber wohl kaum leicht zur Seite schieben. „Kleine Weihnacht“ oder „Groß-Neujahr“ bezeichnen ebenfalls diesen Tag.

Ein Dreikönigsfest kennt der liturgische Kalender nicht, außer in Köln, von wo sich dieser Brauch seit dem 13. Jahrhundert durchgesetzt hat. Nachdem 1164 die Gebeine der Dreikönige von Mailand nach Köln gelangt waren (Translationfest 23. Juli), bildete Köln das Zentrum der Dreikönigsverehrung. Wallfahrten und Prozessionen, Patrozinien, Patronate, Bruderschaften bildeten sich. Im Rahmen der Dreikönigsverehrung erschienen am Hals zu tragende oder im Haus aufzubewahrende Dreikönigszettel, die vor Diebstahl, Überfall, auf Reisen, vor Kopfweh, Fallsucht, Fieber und Todesgefahr bewahren sollten.

Im Rahmen der Geburtserzählung berichtet der Evangelist Matthäus (2, 1–16) – ohne eine Anzahl anzugeben – von Magiern (gr. magoi; im engeren Sinn Angehörige der medischpersischen Priesterkaste; im weiteren Sinne Astrologen, Traum-, Orakeldeuter, Seher), die einen „Stern“ („Stern von Bethlehem“) gesehen haben, dem sie über Jerusalem bis zum Geburtsort Christi gefolgt sind. Namen werden nicht genannt, zur Herkunft heißt es lapidar „aus dem Osten“. Heute wird die Historizität der Magiererzählung von der Forschung kaum mehr aufrechterhalten. Anhand der drei symbolischen Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe wurde von Origines die Dreizahl der Magier angenommen, was bald Allgemeingut wurde. Schon Tertullian ( ) verweist auf Jes 60, 3 und Ps 72, 10: „Könige von Tarschisch, Saba und Scheba bringen Geschenke“. Spätestens seit Caesarius von Arles sind die drei Magier endgültig zu Königen geworden. Als letztes bilden sich für die drei Könige Namen aus. Die Legenda aurea nennt noch die angeblich hebräischen Namen „Appelius, Amerius, Damscus“ und die angeblich griechischen „Galgalat, Balthasar, Melchior“. Eine Kindheitsgeschichte Jesu um 500 in armenischer Sprache benennt Melkan von Persien, Gaspar von Indien und Baltassar von Arabien. Aber schon das berühmte Mosaik aus dem 6. Jahrhundert in Ravenna (S. Apollinare Nuovo) listet auf: Der Älteste heißt Caspar, der Mittlere Balthasar, der Jüngste Melchior. Keiner der drei hat eine schwarze Hautfarbe. Seit dem 9. Jahrhundert sind Caspar (persisch: Schatzmeister), Melchior (= Gottesschutz) und Balthasar (= Lichtkönig) üblich. Seit Beda Venerabilis (um 700) repräsentieren die Dreikönige die drei Lebensalter: Jüngling, Mann „in den besten Jahren“ und Greis. Die Dreikönige repräsentieren darüber hinaus die drei da-mals bekannten Kontinente: Asien, Europa und Afrika. Über den weiteren Lebensweg der Dreikönige erzählen die Apokryphen. Das Proto-Evangelium des Thomas (6. Jh.) berichtet von ihrer Taufe. Sie sollen später zu Priestern und Bischöfen geweiht worden sein und – nach einer gemeinsamen Weihnachtsfeier – seien alle drei kurz nach 53 nach Christus hintereinander gestorben. Die Reliquien der Dreikönige sollen durch Helena aufgefunden worden und nach Konstantinopel gelangt und von dort durch Bischof Eustorgius I. im 4. Jahrhundert nach Mailand verbracht worden sein. Sie ruhten in einem großen römischen Sarkophag in S. Eustorgio. Als Kaiser Friedrich Barbarossa 1162 Mailand erobert und zerstört, bemächtigt er sich auch de Reliquien der Stadt. Die Reliquien der hl. Dreikönige überlasst er seinem Kanzler, dem Kölner Erzbischof Rainald von Daßel (1159–1167), der sie am 23. Juli 1164 (Fest der Translation) feierlich in die Stadt Köln führte. Hier wurde 1180–1225 für die Reliquien ein kostbarer Reliquienschrein, der aus der Kombination von drei Schreinen bestehende „Dreikönigsschrein“, angefertigt, der größte erhaltene des gesamten Mittelalters. Er wurde Anlass zum Bau der gotischen Kathedrale in Köln. Um 1200 trennte man bei den Reliquien die Häupter ohne Unterkiefer ab und stellte sie gekrönt auf einem sogenannten Häupterbrett aus. 1904 wurde ein Teil der Reliquien vom Erzbistum Köln an Mailand zurückgegeben. Dort werden sie in einer Urne unter dem Altar von S. Eustrogio verehrt.

Die hl. Dreikönige galten als Reichsheilige, waren den deutschen Königen und Kaiser Vorbild und Fürbitter, weshalb sie nach ihrer Krönung in Aachen nach Köln zogen, zum Gebet vor dem Dreikönigsschrein. Die „Realpräsenz“ von königlichen Heiligen, die als erste Heiden Christus selbst in der Krippe gesehen und angebetet haben, darf für mittelalterliche Menschen nicht unterschätzt werden. Den Heiligen wurden starke Schutzkräfte zugesprochen: Sie helfen gegen Schicksalsschläge, sie wenden alles Böse von Mensch, Vieh und Haus. Bis heute haben zahlreiche Gaststätten nicht nur im Rheinland Namen, die daran erinnern, dass Pilger an ihnen vorbei auf dem Weg nach Köln gezogen sind: Stern oder Dreikönige ... Der Dreikönigstag galt als Perchtentag, an ihm enden die Rauhnächte; die Nacht vom 5. auf den 6. Januar ist die schlimmste und gefährlichste der Rauhnächte, die Oberstnacht. An diesem Tag wurde das – ursprünglich apotropäische – Türkreuz angebracht, das im Segenszeichen der Sternsinger aufging.

Als Feiertag ist der Dreikönigstag heute fast überall abgeschafft. Gesetzlicher Feiertag ist der Dreikönigstag noch in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt, in Österreich und in Teilen der Schweiz. Aber auch dort, wo der Dreikönigstag nicht mehr gesetzlicher Feiertag ist, wirkt das alte Fest aber noch insofern nach, als die weihnachtlichen Schulferien erst nach dem 6. Januar beendet sind, die Schule also meist mit dem 7. Januar beginnt. Am Vorabend des Dreikönigstages beging man die Dreimahlsnacht, in der ein dreifaches Mahl, das Dreikönigsmahl, eingenommen wurde. Man darf sich vorstellen, dass an diesem Abend ein fröhliches (Familien-) Fest gefeiert wurde, mit dem offiziell auch die Karnevalszeit begann. Beim Dreikönigsfest wurde seit dem 13. Jahrhundert der „König“, Freudenkönig oder Bohnenkönig, bestimmt, der einen ganzen närrischen Hofstaat (z. B. Rat, Sekretär, Arzt, Mundschenk, Vorschneider, Diener, Sänger, Musikant, Koch, Hofnarr) bestimmte und mit ihm feierte. Wenn der König trank, mussten alle rufen: „Der König trinkt“. Dieses Satz wurde geradezu zum Synonym für dieses Spiel, das bis zur Mitternacht dauerte und von jedem verlangte, dass er seine Rolle durchspielte. In den Niederlanden wurde jeder, dem beim Spiel ein Fehler unterlief, mit einem schwarzen Strich ins Gesicht gekennzeichnet. Dieser Teil des Dreikönigsfestes trug auch den Namen Königsspiel. Das Auslosen des Königs geschah durch das Einbacken einer Bohne in den „Königskuchen“; verschiedentlich wurden auch zwei Bohnenkerne eingebacken, wobei die schwarze Bohne den König und die weiße die Königin bestimmte. In Frankreich, wo es diesen Brauch auch gab, hieß der Kuchen Galette du Roi. Anderswo wurde der König durch Auslosen bestimmt; es wurden Losbriefe ausgestellt, sogenannte Königsbriefe. Der König musste ein Königsessen ausrichten. Das Königsspiel war in Europa weit verbreitet. In England nannte es sich Lord of Misrule (Herr der Unordnung und des Unfugs) oder Bohnenkönig mit der Königin Markfett. Vielleicht hat der Brauch, durch eingebackene Münzen oder vergleichbare Gegenstände (Bohne, Mandel, Erbse) einen Glücklichen zu ermitteln, im griechischen Neujahrsbrot das Vorbild. Die Dienstboten feierten ein eigenes Königsspiel, das den Namen „Schwarzer König“ trug.

Unter jungen Leuten feiert man seit wenigen Jahren ein neues Fest, das gleichfalls einen Bezug zum Jahreswechsel hat: Halloween. Ein Fest der Kelten zum Jahresabschluss am 31. Oktober soll die Grundlage von Halloween (hallows = Heilige) sein, einem von Großbritannien in die USA exportiertem Fest des Totengedenkens, in dessen Mittelpunkt ein ausgehöhlter und erleuchteter Kürbis steht sowie das Auftreten stummer Verkleideter, die als Geister heischend von Haus zu Haus ziehen. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre hat Halloween als eine Mischung von Karneval, Walpurgisnacht und Silvester in Verbindung mit ausgehöhlten Kürbissen einen Siegeszug angetreten. Auch in Deutschland hat – nicht der Festinhalt aber – die äußere Form dieses Festes Freunde gefunden. Es ist ein Party-Gag, eine Art Winterkarneval, die mit deutschem, tradiertem Brauchtum nichts zu tun hat.

Der Endpunkt des Neujahrs und der Rauhnächte ist der Verlorene Montag (Niederlande) oder auch Pflugmontag, Frauenmontag. Er bezeichnet den Montag nach dem ersten Epiphania-Sonntag: Es war der Tag für den Kehraus nach Weihnachten, Neujahr und Dreikönige, ein Aufräumtag. – Welch’ glückliche Zeit, die sich nach der Zeit zwischen den Jahren noch einen eigenen Aufräumtag gönnen konnte.