Uralter Brauch in Mitteleuropa

Der Kinderbischof – ein Spiel der umgekehrten Ordnung

Das Kinderbischofspiel, Knabenbischofsspiel oder – in Klöstern – Kinderabtspiel, ist ein uralter Brauch in Mitteleuropa. Bereits 867/870, auf dem Konzil von Konstantinopel, wird das „festum puerorum“, „festum stultorum“, ludus episcopi puerorum oder – später – „fêtes des fous“ verboten. Ursprünglich wurde dieses Spiel am Tag der Unschuldigen Kinder (28. Dezember) als ein Narrenfest gefeiert, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, römischer Saturnalien und eventuell auch keltischer Tiervermummung stand. Weder das Verbot des Konzils von Konstantinopel, noch die Verbote der Konzilien von Basel oder Trient haben das „Spiel der umgekehrten Ordnung“ abgeschafft. Im 11. Jahrhundert läßt sich das festum puerorum im Abendland, in Rouen, erstmals nachweisen und hält sich dort bis in das 18. Jahrhundert. Seit dem 13. Jahrhundert, mit der Popularität des Nikolaus als Schülerpatron, bürgert sich der 6. Dezember als Festauftakt ein, wobei die gesamte Feier entweder bis zum 28. Dezember dauert oder aber am 28. Dezember abschließende Feierlichkeiten stattfinden.

Das eigentliche Spiel bestand darin, daß die Schüler an Kloster-, Stifts- und Domschulen, mancherorts sogar die Kleriker selbst, einen „Abt“ oder „Bischof“ wählten, der ein pompöses Fest und pomphafte Umzüge durchführte. Mancherorts wurde bei diesen Feiern die Liturgie nicht ausgespart: In den Kirchen fanden liturgische Feiern unter Leitung des Kinderbischofs statt. Ausgestattet war der Knabenbischof wie ein Bischof: mit Chorkleidung, Mitra und Stab. Zum Teil oder aber für eine bestimmte Zeit galt auch die Regel, dass die eigentlichen Bischöfe den Anordnungen der Knabenbischöfe zu folgen hatten. Schon vor der Reformation geriet das Knabenbischofsspiel in die Kritik. Im Einflußbereich der Reformation verschwand des Bischofsspiel deshalb im 16. Jahrhundert, in katholischen Gegenden spätestens während der Aufklärung. Insofern ist es interessant zu bemerken, daß das Knabenbischofsspiel in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in Hamburg durch eine evangelische Bischöfin wiederzubeleben versucht wurde. Auch im Erzbistum Köln hat es schon wieder einen Kinderbischof gegeben: Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten zum … Jahrestag des heiligen Suitbert in Kaiserswerth trat ein Knabenbischof auf.

Einige Volkskundler nehmen als Auslöser von Brauchtumsformen liturgische Festtagstexte an. Unter Hinweis auf das „Magnifikat“, in dem es heißt: "…er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen" (vgl. Lk 1, 52; Ez 21, 31; Ps 147, 6; Hiob 5, 11;12,19), wird ein Bezug zwischen dem Knabenbischofsspiel und dem Magnifikat hergestellt. Das Magnifikat ist jedoch kein typisches Gebet für das Fest der Unschuldigen Kinder. Mit der gleichen Berechtigung ließe sich verweisen auf Mt 23, 12: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (vgl. Lk 14, 11; 18, 14). Es ist wahrscheinlicher, daß eines der Tagesgebete aus der Liturgie, die nur am Fest der Unschuldigen Kinder gebetet wurden, Auslöser waren. Vor der jüngsten Liturgiereform hieß es zum Beispiel im Introitus: „Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen, o Gott, verschaffst du dir Lob, Deinen Feinden zum Trotz“ (Ps 8, 2). Oder in der Oratio: „Gott, am heutigen Tage haben die Unschuldigen Kinder Dein Lob verkündet, …“. Im Advent gab es im Mittelalter einen dem Knabenbischofsspiel vergleichbaren Brauch: An bestimmten Tagen hatten die Knechte und Mägde „das Sagen“ hatten und spielten die Rolle der Herrschaft spielten, während diese die Rolle der Mägde und Knechte übernahm.